Menschen sind süchtig nach Neuem, nach Neuigkeiten. Anders würde sich die Existenz von Medien, der Erfolg von Facebook, Twitter, etc. nicht erklären lassen.

Wir sind, das Wort sagt es schon: neugierig, wir verspüren eine Gier nach Neuem und suchen Neues wie unser täglich Brot. Und sei es nur Klatsch und Tratsch, oder „News“, die gar nichts oder nur weit entfernt mit unserem tatsächlichen Leben zu tun haben.

Neu ist gut. „Innovativ“ ist positiv besetzt. „Was ist das Neue daran?“ ist eine berechtigte Frage, um etwas zu beurteilen. Auch, und vor allem, in der Kunst, im Design, bei allen kreativen Prozessen.

Gleichzeitig, und das ist der springende Punkt, darf es nicht zu neu sein. Ja, das stimmt: Neuerungen können auch zu neu sein, und das sollten sie nicht. Was zu neu ist, dem begegnen wir mit Skepsis oder Ablehnung.

Denn ebenso stark wie unsere Sucht nach Neuem ist unsere Vorliebe für das Vertraute.

Was wir schon kennen, erzeugt Wohlgefühl und lässt uns in dessen Nähe verweilen. Selbst die innovativsten Menschen bevorzugen eine Umgebung, die ihnen vertraut ist, umgeben sich mit Menschen, mit denen sie vertraut sind.

Sogar auf Reisen, auf der sprichtwörtlichen Suche nach Neuem – nach neuen Ländern, Abenteuern und Erlebnissen tendieren die meisten Menschen dazu, in ähnlichen, bereits vetrauten Unterkünften abzusteigen. Egal, ob internationale Hotelkette oder schmuckes Designerhotel oder cooles Hostel – untereinander sind sie sich ähnlich, geben sie uns Vertrautheit, denn das erzeugt Vertrauen.

Ja, das ist es: was wir schon kennen, gibt uns Vertrauen.

Also suchen wir das Neue und bevorzugen dabei das Vertraute – scheinbar ein Widerspruch, aber tägliche Realität. Es soll neu sein, aber nur ein bisschen. Grade so viel, das wir noch Vertrauen dazu haben, aber so, dass es trotzdem unsere Neugier stillt.

Was bedeutet das für Künstler, Kreative, Gestalter?

Es erklärt, warum manches so verblüffend erfolgreich ist und anderes, obwohl herausragend, auf Ablehung stößt. Ist es neu? Ist es trotzdem vertraut? In diesem Spannungsbogen bewegt sich das Erfolgreiche, ja, die Genialität.

Das erklärt auch, warum manche Künstler, manche Kunstwerke einen „späten Erfolg“ haben, warum manches einfach „zu früh“, „vor seiner Zeit“ war: es war neu, aber noch nicht vertraut. Es wurde erst später vertraut, nachdem genügend andere aufgesprungen sind und in eine ähnliche Richtung gedacht und gearbeitet haben.

Das Geheimnis liegt darin, etwas zu schaffen, dass wirklich neu ist (und nicht blos wieder aufgewärmt oder die x-te Variante von vorhandenem) und das uns gleichzeitig „irgendwie“ vertraut ist, woher auch immer.

Je größer dieser Spannungsbogen – also je „neuer“ etwas ist, ohne dass gleichzeitig die Verbindung zum „vertraut sein“ abreißt – desto größer die Genialität.