Ja, auch ich verliere den Faden. Ja, auch als Coach kann einem das passieren, gar nicht so selten. Ja, ich kann meinen Kund°innen helfen, an diesem Problem zu arbeiten und trotzdem passiert es auch mir selbst. Auch ein Fußballcoach kann mal am Tor vorbeilaufen.
Ich meine übrigens nicht den Geduldsfaden (der reißt ja eher, als dass man ihn verliert), sondern den „Faden“, den „Flow“, den flüssigen Ablauf meiner Arbeit, das Dranbleiben an den Dingen, die ich mir für diesen Tag vorgenommen habe.
Zwar habe ich meine Tage schön geplant, bemühe mich, möglichst nah an meiner Todo-Listen zu bleiben und Schritt für Schritt mit Freude (!) oder zumindest Hingabe zu erledigen – doch gar nicht so selten komme ich dann irgendwann aus dem Schritt: etwas Ungeplantes kommt dazwischen, ein Anruf, eine Frage, eine Idee in meinem Kopf, irgendwo im Innen oder im Außen poppt etwas auf – und schon ist die Aufmerksamkeit woanders.
Das wäre per se kein Problem, wenn ich danach wieder zurück zu dem kommen würde, was ich mir vorgenommen habe, aber genau das meine ich mit „den Faden verlieren“ – es ist nämlich ziemlich schwer, ihn wieder zu finden!
Kaum ist der natürliche Fluss unterbrochen, bzw. manchmal auch: noch bevor der Fluss überhaupt in Gang kommen kann, fällt es unglaublich schwer, diesen Fluss wieder aufzunehmen, also wieder „in den Flow“ zu kommen. Oder überhaupt irgendwas zu tun.
Genauer gesagt: etwas Produktives, Sinnvolles zu tun. Denn gar nichts im strengen Sinn, also wirklich GAR NICHTS tue ich ja nicht: ich tue nur einfach nicht, was ich tun sollte (meinem eigenen Plan nach tun sollte), sondern ganz was anderes, zumeist etwas äußerst Ablenkendes und wenig Sinnvolles (jedenfalls in Bezug auf meine Pläne).
Was ist dagegen zu tun? Oder: was ist dafür zu tun, also dafür, den Faden so schnell wie möglich wieder aufzunehmen? Tja, wie gesagt: auch mir als Coach passiert es, und das nicht selten, ein Geheimrezept habe ich also nicht, jedenfalls keines, von dem ich behaupten könnte, dass es bei mir jederzeit und zuverlässig funktioniert.
Zunächst einmal, muss mir überhaupt auffallen, dass ich den Faden verloren habe. Solange ich mitten in einer Ablenkung bin, merke ich das nämlich oft gar nicht! Ich schnüffle der Ablenkung hinterher wie die Maus dem Käse, oder der Hund einer Fährte, aber dass ich dabei alles andere vergesse, das muss mir zumindest erstmal bewusst werden, bevor überhaupt etwas anderes möglich ist.
Dann aber, sobald ich es bemerke, dass ich hier ja an ganz was anderem dran bin, als ich eigentlich sollte, oder dass ich grade verleitet werde, irgendetwas ganz anderes, komplett Ablenkendes zu beginnen (z. B. kurz mal die neuesten Nachrichten zu checken, oder auf Instagram zu scrollen, Facebook kurz aufzumachen, was auch immer…) genau dann also, wenn ich das BEMERKE dann ist die Chance gekommen!
Egal, wie wenig Lust oder Motivation ich habe, zu dem zurückzukehren, das eigentlich auf meiner Liste steht, selbst wenn klar ist, dass ich hier kurz vor dem Abgrund stehe, dem „sinkhole“ an dem möglicherweise stundenlanges Prokrastinieren (Aufschieben) beginnt – dies ist der Moment, in dem ich den Fuß in die Tür schieben kann (sinnbildlich) und ich habe eine Chance, den Faden wieder aufzunehmen:
Indem ich nämlich vorerst GAR NICHTS tue. Und zwar genau so, wie oben erwähnt: GAR NICHTS, GAR NICHTS. Also weder etwas Ablenkendes (zu dem es mich hinzieht), noch etwas Sinnvolles (aus das ich keine Lust habe und sich alles in mir dagegen sträubt) – an dieser Kippe, in diesem Moment in dem ich es merke, dass ich hier an dieser Abzweigung stehe, tue ich: GAR NICHTS.
Einfach anhalten, nicht mehr auf den Bildschirm schauen, nicht mehr einem ablenkenden Gedanken nachgehen, nicht mehr eine Ausweichhandlung beginnen oder weiterführen. Einfach stoppen, freeze, halt: nur mehr Durchatmen, regelmäßig atmen, vielleicht sogar die Augen schließen – und warten. Einfach warten und mich selbst beobachten. Den Gedanken zusehen, zuhören, aber nicht tun, keinem Handlungsimpuls folgen.
Das dauert einige Zeit: 10, 20, 30 Sekunden, dann lässt die Lust, der Ablenkung nachzugehen, langsam nach. Nicht zu früh aufhören! Still sitzen, weiteratmen. Irgendwann komme ich „zu mir zurück“, ich, die Person, die am Morgen (oder am Vorabend) die Liste zusammengestellt hat, ich, die Person, die weiß, dass es Sinn macht, das zu tun, was darauf steht, ich, die Person, die ich war, bevor ich den Faden verloren habe.
Das war’s auch schon, was ich sagen wollte. Ich werde jetzt den Faden wieder aufnehmen, meine Liste wartet!
Peter Hauptmann | www.art-up.coach
Bild: Graffiti in Amberg (D), (Ausschnitt), unbekannte Künstler°in, fotografiert am 27.3.2014 von Peter Hauptmann