Ich bin in einem kleinen weißen Zimmer, darin zwei Frauen in weißen Kitteln. Die eine eröffnet mir, dass sie nun eine spezielle Substanz in meinen linken Oberarm injizieren werde. Aus einem unerfindlichen Grund weiß ich im Traum (so, als hätte ich es zuvor in einem Journal gelesen oder von medizinischen Kapazitäten der hiesigen Universität in einem ihrer öffentlichen Vorträge davon gehört), dass dieses Mittel mich davor schützen werde, einer gefährlichen Erkrankung zu erliegen. Somit willige ich natürlich bereitfertig und freudig ein – doch kaum hat sie mich am Arm berührt, da erwache ich.

Es dauert ein Weile, bis ich mich zurechtfinde und mir mit zunehmender Klarheit bewusst wird, dass wir nicht den 13. November 2021 schreiben, mit dem ich eben noch, im Traume, ein mir vorgelegtes Formular unterfertigt hatte, sondern erst das Jahr 1821 – und dass mich ein hitziges Fieber seit Tagen ans Bett fesselt.

Die Ärzte befürchten, es sei die Lungenpest, wie sie es nennen, die im letzten Jahr nun schon tausende Hilflose in unseren Ländern hinweggerafft hat. Auch mir bleiben nur noch wenige Tage, ich weiß und spüre es, denn meine Atemzüge werden von Stunde zu Stunde schwerer und schwerer und ich ringe immer verzweifelter nach Luft.

Wie eine Blase zerplatzt dieses wunderbare Gefühl, welches eben noch aus dem seltsamen Traum nachschwebte, die Freude darauf, dass diese geheimnisvolle Flüssigkeit der beiden Frauen mir Schutz und Stärkung bieten werde.

Ach, wenn es nur wahr wäre!

Wenn wir, Menschen, jene Mittel erfinden könnten, die uns vor diesen furchtbaren Erkrankungen schützen, für die wir zwar zahllose Namen, doch kaum brauchbare Heilmittel kennen! Einen Schutz, wie im Traum, der schon wirkt, bevor die Krankheit noch unsere Körper heimsucht. Welch fantastische, freudvolle Vorstellung, dass solcherart nicht nur zwei meiner Geschwister, sondern alle sechs Schwestern und Brüder ihre Kindheit überlebt hätten – und dass meine einzige Tochter mir nicht schon in ihrem zarten Jugendalter durch ein böses Fieber genommen worden wäre!

Was wäre das für ein Jubel in der gesamten Menschheit! Wie überglücklich würden Millionen herbeiströmen, um sich dieses wunderbaren Schutzes zu versichern, sich selbst und ihren Kinder ein freudvolles, gesundes, von schweren Krankheiten ungeplagtes Leben zu ermöglichen!

Doch leider, es war nur ein Traum: der zarte Stich in den Arm, die schutzbringende Substanz die unser aller Leben zum Guten wendet, unheilbare Krankheiten von uns fern hält und uns ein ungefährdetes Leben bis ins hohe Alter ermöglicht – zerplatzt und zeronnen, verschoben auf eine unerreichbar ferne Zukunft.


Bild: Graffiti in Lagunillas, Málaga (Ausschnitt) | unbekannte Künstler°in | fotografiert am 8. November 2017 | von Peter Hauptmann