„Nichts passiert mir, alles passiert für mich“ – dies ist ein unglaublich starker Satz. Er ist die Essenz der Umkehrung der Opfer-Rolle in die Gestalter-Rolle. Mit Gestalter meine ich: „Ich bin der Gestalter meines Lebens“. (Was übrigens bedeutet: „Ich bin kreativ“!)

Das zu erkennen, nicht nur zu sagen, nicht nur als Lippenbekenntnis, sondern als tatsächlich gelebte Realität, verändert alles.

Wobei der zweite Teil „passiert für mich“ nichts esoterisches an sich hat. Sicherlich, viele Leute interpretieren es so, dass da draussen irgendeine Macht, ein Gott, das Universum, oder wer auch immer, ihnen das, was ihnen „passiert“, schickt, um sie zu prüfen, sie etwas zu lehren, ihnen etwas aufzuzeigen, etc.

Ich glaube nicht an solche Kräfte. Ich sage nicht, dass sie nicht existieren könnten, das kann ich genau so wenig beweisen, wie ich ihre Existenz beweisen könnte. Weder ein Gottesbeweis noch ein Gottes-Gegenbeweis sind meines Wissens bisher schlüssig geführt worden.

Aber auch wenn solche Kräfte existieren würden, so will ich mein Leben ohne den Glauben an sie gestalten.

(Was ich aber tatsächlich nicht glauben möchte, ist, dass es eine allmächtiges Wesen geben sollte, der tatsächlich will und fordert, dass wir Menschen an ihn glauben, und der uns bestrafen würde, wenn wir das nicht tun – das erscheint mir absurd.)

„Nichts passiert mir, alles passiert für mich“ bedeutet nicht, dass alles, was mir passiert, eine Bedeutung in meinem Leben hat (die müssten dann ja von jemandem anderem stammen), sondern dass ich allem, was passiert eine Bedeutung geben kann. Das ist ein wesentlicher Unterschied.

Dies ist die „Macht“, eine viel besser Macht, als mit Lichtschwertern zu kämpfen und Dinge schweben lassen zu können. Die Macht, nicht durchs Leben zu stolpern als ewiges Opfer äußerer Ereignisse, über die ich mich beschwere, aufrege, wütend bin, darunter leide, sondern als Gestalter meines Lebens, der ich äußeren Ereignissen eine Bedeutung geben kann.

Es passiert viel in unserem Leben, das wir nicht ändern können. Sicher, wir können vieles planen, gestalten, anderes vermeiden, aber es gibt jede Menge Ereignisse, auf die wir keinen direkten Einfluss haben. Sie „passieren“ uns.

In dem ich aber die Überzeugung angenommen habe, dass es eben mir nicht passiert, sondern es für mich passiert, übernehme ich auch für diese unbeeinflussbaren Ereignisse die Verantwortung. Nicht dafür, dass sie passieren, sondern dafür, was ich aus ihnen mache, welche Bedeutung ich ihnen in meinem Leben gebe.

Sicherlich, an manchen Tagen, wie gestern, wo ich mich zuerst am Vormittag beim Brotschneiden mit dem Messer in den Finger schneide und mir am Abend in einem Lokal der Rucksack mit Geldbörse, Bankkarten, Hausschlüssel gestohlen wird, fällt das schwer.

Es fällt schwer, nicht wütend, verärgert, selbstbemitleidend zu sein. Aber zu denken: „es ist für mich passiert“, befreit auch, es erleichtert.

Ich könnte auch denken „so what?“ und es, so gut es geht, an mir abprallen lassen. Das habe ich viele Jahre getan. Heute denke ich, das stumpft ab. Stoizismus, also wirklich „stoisch“ zu sein, alles nur hinzunehmen, seine Gefühle zu unterdrücken ist aus meiner Sicht gefährlich. Es schneidet uns von unserem inneren Selbst ab, von unserer Selbstwahrnehmung, von unseren Sinnen und Gefühlen.

Es geht mir besser, seit ich den Satz „Nichts passiert mir, alles passiert für mich“ für mich angenommen habe. Das erlaubt mir nämlich, weiterhin etwas zu spüren, Gefühle zu haben – aber sie umzuwandeln. In etwas Positives. Wenn ich dem, was mir passiert, eine Bedeutung gebe, wenn es eine Bedeutung für mich, für mein Leben, annimmt, dann ist es gut, dass es passiert ist, auch wenn ich es eigentlich nicht so gewollt habe.

Was bedeutet es also, dass ich mich gestern in den Finger geschnitten und meine Tasche gestohlen wurde? Mal schauen, was mir heute im Lauf des Tages dazu einfällt…