Heute morgen, oben auf meinem Morgenspaziergangsberg standen sich Sonne und Mond genau gegenüber. Die Sonne am Aufgehen, der Mond am Untergehen. Die Sonne voll und schon morgendlich heiß, weil keinerlei Wolken oder Dunst am Himmel waren, der Mond voll, wie er das eben einmal pro Monat so ist.
Ausserdem ist es ja logisch: wenn er der Sonne genau gegenüber steht, muss er voll sein, denn sie scheint im ja quasi voll ins Gesicht. Wenn sie ihn von der Seite her anstrahlt, wenn er ihr also einen halben Himmelsradius voraus oder hinten nach läuft, dann ist er halb beleuchtet, jeweils auf der Seite, von der her ihn die Sonne anstrahlt. Die dann aber nicht zu sehen ist, weil sie sich gerade hinter unserem Horizont befindet, eine Situation, wir „Nacht“ nennen.
Wenn der Mond auf der selben Seite am Himmel steht, wie die Sonne, dann sieht man ihn gar nicht (weil sie ihn nicht auf der Seite bescheint, die wir sehen) und nennt ihn Neumond. „Neu“ weil eine neue Zeiteinheit beginnt: ein neuer Mondkreislauf, ein neues Mon(d)at.
Sonne und Mond sind die einzigen natürlichen Zeitgeber, sie sind die Erfinder der Zeit. Wobei: genau genommen ist es natürlich die Erde, die sich einmal pro Tag um sich selbst dreht und einmal pro Jahr um die Sonne kreist sowie unser Mond, der einmal pro Monat wiederum die Erde umkreist.
Sie geben diese Zeiträume vor, die Sonne ist nur der Fixpunkt, der diese Bewegungen sichtbar macht. Das, was wir „Zeit“ nennen, ist von der Beobachtung dieser Zyklen abgeleitet.
Einmal pro Jahr wiederholt sich der Kreislauf der Natur, besonders gut sichtbar in den Klimazonen, in denen es Jahreszeiten gibt, einmal pro Tag wird es hell und wieder dunkel, 12 mal im Jahr absolviert der Mond sein Zu- und Abnehmprogramm.
Alles andere sind Erfindungen des Menschen: dass wir den Tag in 24 Stunden teilen und diese wieder in Minuten und Sekunden: pure Konvention. Dass wir ein Monat in 4 Wochen teilen: ja, ein wenig ist das durch die klar erkennbaren 4 Phasen des Mondes bedingt, aber trotzdem nur abgeleitet.
Wir hetzen mit Hilfe unserer Kalender und Uhren einer Zeit hinterher, die es gar nicht gibt.
Die einzige Zeit, die es gibt, und auch dass nur, weil wir sie „wahr“nehmen, ist der Zyklus von Tag und Nacht, der Wechsel zwischen Vollmond und Neumond und der Ablauf des Jahres.
Wobei letzteres, anders als der Sonnenaufgang und der Vollmond keinen so unmittelbar beobachtbaren „Beginn“ hat. Mit dem Versuch, diesen Jahresbeginn an einem bestimmten Tag festzulegen, begann das, was wir „Wissenschaft“ nennen: Beobachtungen(*), Berechnungen, Vorhersagen.
(*) Dass z.B. die Sonne, wenn man ihr täglich beim Aufgehen zusieht, über den Horizont „wandert“ – sie geht täglich ein wenig weiter links auf, bis sie an einem bestimmten Tag (Sonn(en)wende) wieder „umdreht“ und täglich weiter rechts aufgeht. Da sie gleichzeitig auch täglich zuerst weiter rechts untergeht – und nach der Sonnwende täglich weiter links, ist ihr Lauf über den Himmel auch täglich ein wenig länger bzw. kürzer: die Tage werden länger bzw. im Winter kürzer.
Wem ist das wohl das erste Mal bewusst aufgefallen? An diesem Tag begann die Wissenschaft.
„Gespürt“ haben wir es aber natürlich schon länger. Tiere und Pflanzen richten sich nach dem Jahres- und Tagesablauf, das ist logisch. Erstaunlicherweise aber auch nach dem Monatsablauf, und das ist seltsam, denn so groß ist der Einfluss des Mondes – rein physikalisch – nicht. Will man keine esoterischen Erklärungen heranziehen (und das will ich nicht) dann war es vielleicht der Wechsel der Gezeiten, als unsere weit entfernten Vorfahren noch im Meer lebten, der uns diese biologische Uhr „eingepflanzt“ hat.
In jedem Fall scheint mir der Monat ein sehr praktischer, natürlicher und vernünftiger Zeitraum, um zu planen. Und zwar nicht – und das ist die Essenz meiner heutigen Überlegungen beim Anblick des so friedlichen und wunderschönen Gegenübers der aufgehenden Sonnen und des untergehenden Mondes am Himmel – der künstliche Kalendermonat (den wir Julius Cäsar und Papst Gregor zu verdanken haben) sondern der natürliche Monat, von Vollmond zu Vollmond.
Bisher habe ich das ja mit großer Skepsis betrachtet: den „Mondkalender“ habe ich immer mit seltsamen Vorannahmen verbunden gesehen: schneide dir deine Haare bei Vollmond, und sie kräuseln sich nicht mehr, oder so ähnlich. Das meine ich natürlich nicht.
Aber vielleicht entspricht es tatsächlich unserer inneren – biologischen – Natur, diesen Kreislauf aufzunehmen und in unsere Planung einzubinden: von Vollmond bis zum nächsten Vollmond will ich dieses oder jenes spezifische Unterfangen machen bzw. erreicht haben.
28 Tage Zeit, ein kompletter Zyklus, die Zeit, die der Mond zum ab- und wieder zunehmen braucht, um es durchzuführen. Ergibt zwölf Projekte pro Jahr – wenn uns das gelingt, dann war es wirklich ein gutes Jahr.
Bild: der Mond, aber nicht heute, sondern bei der letzten Mondfinsternis („Blutmond“) in Malaga, Peter Hauptmann, 2019